5 Wege, gelassen zu bleiben, wenn dein Kind dich auf die Palme treibt

ein Gastartikel von Ulrike Wolf - MamaCoach

Es ist einer dieser Tage.

Du kommst nach Hause, hast eigentlich nur noch ein Ziel: kurz durchatmen. Doch dein Kind hat ganz andere Pläne. Die Jacke fliegt in die Ecke, die Schuhe gleich hinterher, und als du darum bittest, sie aufzuheben, kommt ein lautes „Mach selber!“ zurück. Auf einmal schlägt alles über dir ein – Wut, Ohnmacht, Erschöpfung. Und ehe du dich versiehst, sagst du etwas, das du gar nicht sagen wolltest.

Kennst du bestimmt, oder? Diese Momente, in denen du reagierst, anstatt bewusst zu handeln. Und danach denkst du: Huch, was war das denn? Das wollte ich doch gar nicht! Warum fällt es mir bloß so schwer, ruhig und gelassen zu reagieren?!

 

Genau das sind die Augenblicke, in denen du dich von dir selbst entfernt hast. Und hier kommt Selbstanbindung ins Spiel. Sie hilft dir, gelassen zu bleiben, wenn um dich herum alles drunter und drüber geht. Sie hilft dir aber auch dabei, den Weg zurück zu dir zu finden, wenn du ihn kurz verloren hast.

Was bedeutet Selbstanbindung eigentlich?

Selbstanbindung klingt erstmal ziemlich nach Yoga-Retreat oder Achtsamkeitskurs. Aber im Grunde ist es etwas, das bei uns allen angelegt ist. Selbstanbindung bedeutet, mit dir selbst in Verbindung zu bleiben. Mit deinem Körper, deinen Gefühlen, deinen Gedanken.

Wenn du gut angebunden bist, spürst du dich selbst: Du merkst, wie es dir geht, was du brauchst und was dir gerade zu viel ist. Du nimmst wahr, was in deinem Körper passiert. Vielleicht ein Druck in der Brust, kribbelnde Hände oder ein Kloß im Hals. Und du kannst benennen, was du fühlst, anstatt es zu verdrängen oder auf dein Kind zu übertragen. 

Diese Verbindung zu dir selbst ist wie ein innerer Kompass. Sie hilft dir zu spüren: Bin ich ruhig und klar? Oder bin ich gerade im Stressmodus?

Wenn du gestresst bist, meldet dein Gehirn „Gefahr!“. Dann schaltet sich dein limbisches System ein; das Areal, das für Kampf oder Flucht zuständig ist. Ist dein limbisches System angesprungen, läuft alles automatisch. Deine Stimme wird laut, und du sagst sowas wie “Wenn du nicht sofort deinen verdammten Kram aufräumst, kannst du das Fußballspiel am Samstag vergessen!”

 

Selbstanbindung hilft dir, diese Stresssignale frühzeitig zu erkennen – körperlich, emotional, gedanklich – und wieder in einen regulierten, klaren Zustand zu kommen.

 

Selbstanbindung ist die Brücke zwischen Reiz und Reaktion. Sie ist die Fähigkeit, innezuhalten, bevor du reagierst und somit die Grundlage dafür, dass du in schwierigen Momenten gelassen bleiben kannst.


Warum Selbstanbindung so wichtig ist - gerade als Elternteil.

Dein Kind verliert die Nerven – und du gleich mit. Zack, altes Programm an, Gelassenheit aus. Mit Selbstanbindung kannst du das ändern: Wenn du wahrnimmst, was in dir passiert, regulierst du dich, bevor du reagierst und kommst zurück in Kontakt, mit dir und mit deinem Kind.

Denn das Spannende ist: Kinder spüren, wie es uns geht. Und zwar viel stärker, als sie unsere Worte hören.

Wenn du ruhig bist, kann dein Kind ruhig werden. Wenn du atmest, kann dein Kind mitatmen. Wenn du verbunden bist, kann es sich sicher fühlen.

 

In der bindungsorientierten Begleitung ist genau das die Grundlage: Deine innere Ruhe ist der Anker für dein Kind. Nicht perfekte Erziehung, nicht immer Geduld, nicht die richtigen Worte – sondern deine Fähigkeit, dich selbst wahrzunehmen und zu regulieren. Selbstanbindung ist die Voraussetzung dafür, dein Kind liebevoll begleiten zu können, auch wenn es anstrengend ist. 

5 Wege in deine Selbstanbindung zu kommen und gelassen zu bleiben.

Selbstanbindung besteht sie vielen kleinen Momenten. Es geht nicht darum, in jeder Situation total zen zu sein. Es geht darum, immer wieder bewusst zu dir zurückzufinden, wenn du dich verlierst.

 

Hier sind fünf einfache Wege, wie du das mitten im Familienalltag schaffen kannst.

1. Atme

Klingt banal, wirkt aber sofort. Wichtig ist dabei nur, dass du länger aus- als einatmest. Denn das Ausatmen aktiviert den Teil deines Nervensystems, der für Entspannung zuständig ist.

Versuch’s mal so:

  • Atme tief ein, zähl bis vier,
  • atme langsam aus, zähl bis sechs.
  • Wiederhol das drei Mal.

Oft reicht das schon, um dein Stresslevel so weit zu senken, dass du klare Gedanken fassen kannst.

Meine liebste Atemtechnik bei Stress und Anspannung ist die Lippenbremse. Die kannst du auch direkt deinem Kind zeigen, denn sie hilft auch den Kleinen, sich zu entspannen.

So geht’s:

  • Durch die Nase einatmen.
  • Nun die Lippen spitzen, als würdest du pfeifen wollen.
  • Und durch den Mund ausatmen.

 

Et voilá, die gespitzten Lippen bremsen deine Ausatmung – kein Zählen nötig.

2. Nimm deinen Körper wahr

Dein Körper sendet dir Signale, lange bevor du schreist oder weinst. Spür mal hin: Wo sitzt die Anspannung? Wie fühlt sich dein Bauch, dein Rücken, dein Kiefer an?

 

Wenn du Anspannung erkennst, kannst du dich frühzeitig um dich kümmern, bevor dein Stress dich übernimmt. Eine kleine Bewegung – Schultern lockern, Hände ausschütteln, bewusst aufstehen – kann helfen, wieder Boden unter den Füßen zu spüren.

3. Benenne, was du fühlst

Gefühle benennen ist wie ein inneres Sortieren. Wenn du dir selbst sagst: „Ich bin gerade wütend und überfordert.“, passiert etwas Spannendes: dein Gehirn wechselt von Reaktion zu Reflexion. Damit nimmst du deinem limbischen System die Macht und holst den Verstand zurück ins Boot.

 

Mach’s dir zur Gewohnheit, Gefühle in Worte zu fassen. Das klappt auch, wenn du es dir nur innerlich sagst. Aber noch wirkungsvoller ist es, wenn du die Worte laut aussprichst. Und ganz nebenbei lernt so dein Kind auch seine Gefühle zu benennen. Das ist so hilfreich!

4. Benenne, was du wahrnimmst

Falls dir das Benennen deiner Gefühle eine Nummer zu groß vorkommt, beginne eine Stufe tiefer. Und zwar indem du deine Sinneseindrücke benennst. Beantworte einfach Schritt für Schritt, was deine Sinne wahrnehmen.

  • Was sehe ich? 
  • Was höre ich? 
  • Was schmecke ich?
  • Was rieche ich?
  • Was fühlen meine Hände/Füße? 

 

Das schrittweise Benennen deiner Sinneseindrücke bringt dich umgehend ins Hier und Jetzt. Und du signalisiert deinem limbischen System, dass keine wirkliche Gefahr droht. Denn höchstwahrscheinlich ist kein Säbelzahntiger mit dir im Raum.

5. Verändere den Moment

Wenn du merkst, dass du innerlich feststeckst (zum Beispiel immer die gleichen schweren Gedanken denkst), tu etwas, das diesen Zustand unterbricht: Geh ans Fenster, trink ein Glas Wasser, geh kurz raus oder beweg dich.

 

Solche kleinen Unterbrechungen wirken Wunder. Sie holen dich aus der Stress-Spirale und schenken deinem Nervensystem die Chance, runterzufahren. Manchmal hilft auch Humor: ein kurzer Witz, ein Lächeln, ein tiefer Seufzer.

Verbindung wieder hergestellt - und jetzt?

Sobald du dich dann wieder geerdet fühlst, wende dich wieder deinem Kind zu. Ein liebevoller Blick, eine sanfte Berührung, ein kurzes „Ich bin wieder da“ wirken oft mehr als tausend Erklärungen. 

Versuche, die Situation als Einladung zur Nähe zu sehen. Ein kurzes Bindungsspiel (spielerische Momente zwischen dir und deinem Kind, die Verbindung schaffen und Stress abbauen) kann helfen, die übrige Spannung zu lösen. 

So geht ein Machtumkehrspiel

Machtumkehrspiele sind Spiele, bei denen dein Kind die starke Rolle übernimmt und du dich absichtlich tollpatschig, schwach oder ängstlich gibst.

  • Beispiel 1: Du jammerst übertrieben „Diese Aufgabe ist ja viiiel zu schwer!“, während dein Kind die Lehrerrolle übernimmt.
  • Beispiel 2: Du lässt dich bei einer Kissenschlacht „umhauen“ und fällst theatralisch zu Boden.

So geht ein Nonsensspiel

Nonsensspiele sind Spiele, bei denen ihr bewusst Quatsch macht, Dinge verdreht oder übertreibt.

  • Beispiel 1: Du versuchst die Schultasche zu öffnen und behauptest „Die Tasche beißt mich!“, während sie dir ständig „entwischt“.
  • Beispiel 2: Du ziehst dir Socken auf die Hände und fragst völlig ernst: „Wo sind bloß meine Finger geblieben? Eben waren sie noch da.“

Wie du Selbstfürsorge im Alltag verankerst

Selbstanbindung klappt leichter, wenn du nicht erst dann anfängst, dich um dich zu kümmern, wenn das Chaos schon tobt. Je besser du dich im Alltag um dich selbst kümmerst, desto stabiler bist du in den Momenten, die dich herausfordern.

 

Hier sind ein paar Wege, wie du dich im Alltag gut versorgen kannst – ohne dass du gleich dein ganzes Leben umkrempeln musst.

1. Plane Pausen

Pausen passieren nicht von allein. Du darfst sie dir bewusst einplanen, so wie Arzttermine oder Elternabende. Einmal am Tag kurz runterkommen: Tee trinken, einfach atmen, Musik hören.

 

Und falls sich dein Kopf meldet mit „Dafür hab ich keine Zeit“ – erinnere dich: Pausen sind Pflege für dein Nervensystem, kein Luxus.

2. Plane kleine Achtsamkeitsrituale

Achtsamkeit muss nicht auf dem Meditationskissen stattfinden. Sie kann überall Platz haben: beim Zähneputzen, Duschen, Autofahren. 

Mach dir kleine Rituale daraus:

  • „Drei bewusste Atemzüge, bevor ich das Handy entsperre.“
  • „Ich spüre das Wasser auf meiner Haut.“
  • „Ich esse den ersten Bissen ganz bewusst.“

Diese Mini-Momente holen dich fast schon nebenbei immer wieder in den Kontakt mit dir selbst.

3. Bewege dich

Körperliche Bewegung ist ein direkter Weg zur Regulation. Das muss kein Sportprogramm sein. Ein Spaziergang, Tanzen im Wohnzimmer oder fünf Minuten Dehnen können schon reichen. 

 

Wenn du dich bewegst, kannst du deine Körperempfindungen besser wahrnehmen. Und hilfst deinem Körper, Stress abzubauen, bevor er sich festsetzt.

4. Schaffe dir 'stille Inseln'

Gerade als Eltern sind wir ständig von Geräuschen, Fragen und To-dos umgeben. Aber dein Gehirn braucht Stille, um zu verarbeiten.

 

Erschaffe dir kleinen Inseln der Ruhe, um regelmäßig Kraft zu schöpfen. Vielleicht ist es der Moment am Morgen, bevor alle wach sind. Oder eine bewusste Pause am Tag. Oder der Abend, wenn du kurz das Licht ausmachst und einfach atmest.

5. Sei freundlich mit dir

Selbstfürsorge bedeutet nicht, alles richtig zu machen. Manchmal wirst du dich verlieren. Manchmal wirst du schreien. Das ist menschlich. 

Wichtig ist, dass du dich danach nicht verurteilst, sondern mitfühlend auf dich schaust: „Ich war überfordert und ich kümmere mich jetzt um mich.“ Mit dieser Haltung lernst du, dir selbst zu vertrauen. Und dein Kind lernt: Auch Erwachsene dürfen Fehler machen und gut für sich sorgen. 

 

Selbstfürsorge ist kein Extra, das du irgendwann mal machst, wenn alles andere erledigt ist. Sie ist die Grundlage dafür, dass du überhaupt alles andere schaffen kannst. Und je besser du dich um dich kümmerst, desto leichter fällt es dir, in schwierigen Momenten verbunden zu bleiben – mit dir und mit deinem Kind.

Fazit: Warum sich Selbstanbindung lohnt

Vielleicht denkst du jetzt: Klingt schön, aber im echten Familienalltag ist das gar nicht so einfach. Und ja, du hast recht. Es braucht Übung, Geduld und immer wieder neue Anläufe. Aber glaub mir: Es lohnt sich.

Je öfter du dich selbst wahrnimmst, desto schneller merkst du, wann dein Stresslevel steigt. Du erkennst, was dich triggert, bevor du überreagierst. Du lernst, dich selbst zu beruhigen, anstatt dich später für deine Reaktionen zu verurteilen. Und das verändert nicht nur dich, sondern auch die Stimmung in deiner Familie.

Dein Kind spürt, dass du bei dir bist. Es erlebt, dass Gefühle willkommen sind – Freude, genauso wie Wut oder Traurigkeit und dass man sie fühlen kann, ohne die Verbindung zueinander zu verlieren. Das ist ein riesiges Geschenk, das du deinem Kind machen kannst: ein echtes Vorbild für Selbstregulation und Mitgefühl zu sein.

 

Selbstanbindung ist kein Ziel, das du einmal erreichst und abhaken kannst.
Sie ist ein Weg.
Ein Zurückfinden.
Immer wieder.


Liebe Ulrike, vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel!

Ulrike Wolf ist Mama-Coach, Mutmacherin & Möglichmacherin.

Sie begleitete Mütter dabei, im turbulenten Familienalltag wieder gut für sich zu sorgen.

Ihre Expertise sind Selbstfürsorge, Familienleben und persönliches Wachstum.

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